Mit ADHS in der Grundschule umgehen: Warum Lucas Stühle warf – und wie Reflexion alles veränderte (Newsletter 8/2025)
Hallo ihr Lieben,
Mich erreichen in den letzten Wochen immer mehr Mails mit Nachrichten von euch…Lob, Einblicke in eure Arbeit und Fragen. Danke! Ich freue mich über jede einzelne Nachricht!
Letztens hat mich eine Frage erreicht, die vermutlich für viele von euch relevant ist. Eine Leserin schrieb mir:
„Liebe Tatiana, ich habe einen Schüler mit ADHS in der Klasse und möchte gerne mit ihm jeden Tag reflektieren. Wie mache ich das am besten?”
Diese Frage möchte ich heute ausführlich beantworten, denn individuelle Reflexion kann für Kinder mit besonderen Bedürfnissen der entscheidende Schlüssel sein.
In diesem Newsletter erfährst du…
- …wie du mit einzelnen Kindern erfolgreich reflektierst
- …welche besonderen Impulse für einen Schüler mit ADHS geeignet sind und
- …drei verschiedene Wege, die ich mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen gegangen bin
Warum individuelle Reflexion so wertvoll ist
Reflexionen haben das Potential, der Schlüssel zu deinen Schülern zu sein – auch bei Kindern mit besonderen Bedürfnissen. Durch regelmäßige Reflexion können diese Kinder:
- Ihre eigenen Lernprozesse besser verstehen
- Selbstregulationsstrategien entwickeln
- Ihre Stärken bewusst wahrnehmen
- Ein positives Selbstbild aufbauen

Die wichtigsten Grundsätze für eine individuelle Reflexion
1. Das richtige Ziel definieren
Überlege dir zuerst, welches Ziel die Reflexion haben soll, damit du die passende Reflexionsmethode und Impulse auswählen kannst. Bei Kindern mit ADHS geht es vermutlich um Arbeitsverhalten, Konzentrationsfähigkeit oder soziale Aspekte.
2. Positive Grundhaltung schaffen
Es ist wichtig, dass das Reflektieren eine positive Note bekommt und behält. Es soll sich nicht als Strafe für ungewolltes Verhalten anfühlen. Dafür solltest du diese Dinge vorab beachten:
- Zeitpunkt: Finde einen Zeitpunkt, der für euch beide gut passt. Wähle auf keinen Fall einen Moment, der dem Kind wichtig ist, wie beispielsweise die Hofpause, Kunststunde oder wenn alle in die Mensa gehen. Ich nutze gerne „normale“ Stunden am Ende des Schultages, wenn zum Beispiel alle in Einzelarbeit arbeiten und du Zeit für individuelle Aufmerksamkeit hast. Alternativ kannst du dein Kind auch selbst fragen, wann heute ein guter Moment ist.
- Material: Nutze ein besonderes Heft oder Material für die Reflexion, das du speziell für das Kind angefertigt hast. Es wird sich wertgeschätzt und besonders fühlen.
- Transparenz und Ziel: Besprich mit dem Kind das Ziel der Reflexionen. Mache transparent, welchen Nutzen Reflexionen für dich haben und was du dir/euch davon versprichst.
Konkrete Methoden für die tägliche Reflexion
Generell kannst du alle Reflexionsmethoden, die du im Klassenverband anwenden würdest, auch mit einem einzelnen Kind umsetzen. Eine gute Übersicht findest du in meinem Blogartikel Reflexion in der Grundschule: Hilfsmittel, Techniken und Unterrichtsmaterial.
Das Reflexions-Tagebuch
Lege zum Beispiel ein DinA 5 blanko Heftchen an, in das du Impulse für die tägliche Reflexion klebst. Dann könnt ihr, ähnlich wie bei einer Wochenreflexion, einige Aspekte täglich reflektieren und die Erkenntnisse ins Heft eintragen. Alle paar Wochen kannst du die Reflexionsfragen anpassen, falls nötig.
Diese Form eignet sich gut, um eine Progression zu sehen. Das Kind sieht anhand des Heftes sein persönliches Wachstum oder kleine Fortschritte. Achte darauf, dass es ein Instrument zur Selbstreflexion bleibt und keine Dokumentation für ungewolltes Verhalten von dir.
Reflexionsfächer und Reflexionskarten
Diese Form der Reflexion ist die bessere Wahl, wenn das Kind nicht gerne schreibt oder wenn Schreiben und Hefte bei ihm generell nicht gerne gesehen sind. Suche dir dann ca. 5 Reflexions-Impulse aus und mache einen Fächer für deinen Schüler. Wenn du einen Fächer für die individuelle Arbeit benutzt, würde ich für die Klasse eine andere Reflexionsmethode wählen, damit der Fächer etwas Persönliches und Besonderes bleibt.
Setze dich mit dem Kind an einen ruhigen Ort. Es darf 2-3 Reflexions-Impulse wählen und darüber erzählen. Unterhaltet euch, findet gemeinsam Ideen und Vereinbarungen für sein persönliches Wachstum.
Genauso kannst du auch 5-6 Reflexionskarten und 3 Muggelsteine benutzen. Das Kind legt seine 3 Muggelsteine auf die Impulskarten, die es ansprechen möchte.

Besondere Impulse für Kinder mit ADHS
Für Kinder mit ADHS haben sich ganz spezielle Reflexions-Impulse bewährt, die ihre besonderen Bedürfnisse berücksichtigen. Hier sind einige Beispiele:
Aufmerksamkeit und Konzentration
- Das hat mich heute abgelenkt
- Fokussiert war ich, als…
- Ich konnte gut zuhören, als…
Impulse für Selbstregulation und Emotionen
- Als ich wütend/frustriert war, habe ich…
- Ich habe eine Pause gemacht, als…
- Ich bin stolz darauf, dass ich heute…
Impulse für Bewegung und Energie
- Ich war unruhig, weil…
- Ich brauchte Bewegung, als…
- Ich habe meinen Platz gewechselt, als…
Impulse für soziale Situationen
- In der Hofpause…
- Ich habe jemandem geholfen
- Schwierig war heute…
Impulse für Erfolge und Stärken
- Das habe ich geschafft
- Darauf bin ich heute besonders stolz
- Ich habe nicht aufgegeben, als…
Diese Impulse helfen den Kindern dabei, ihre eigenen Muster zu erkennen und Strategien zu entwickeln. In meinem neuen Material 50 Impulskarten für besondere Kinder findest du diese und viele weitere wichtige Impulse.

Warum es keine Standardlösung gibt
Ich möchte dir nun drei Schüler vorstellen, die mir gezeigt haben, wie wichtig es ist, auch bei derselben Diagnose ganz individuell hinzuschauen. Diese Erfahrungen haben meine Sichtweise auf ADHS grundlegend geprägt.
Das Bedürfnis nach Autonomie und Freiheit
Lucas brauchte vor allem Autonomie und Wahlfreiheit. Er war ein Zweitklässler, der ständig in Bewegung sein musste und das Gefühl brauchte, selbst entscheiden zu können. Direkte Anweisungen wie „Setze dich hin und schreibe ab“ führten bei ihm zu enormem Frust. Ich lernte schnell, dass ich ihm Freiräume geben musste: Er durfte malen, anderen beim Arbeiten zusehen oder auf seinem Bewegungshocker arbeiten. Hefte und Schreiben fand er nicht attraktiv. Daher reflektierte ich mit Lucas über Karten und Muggelsteine – seine Hände waren beschäftigt und er konnte selbst entscheiden, welche Impulse er bearbeiten wollte.
Das Bedürfnis nach besonderer Nähe und Aufmerksamkeit
Sven war ganz anders. Er sehnte sich nach Aufmerksamkeit und persönlicher Nähe. Bei jeder Kleinigkeit schweiften seine Gedanken ab, und ich hatte das Gefühl, dass ihn außer Computerspielen nichts interessierte. Als wir uns näher kennenlernten, wurde mir klar: Nur in der Welt der Computerspiele war Sven der Held und wichtig. Zu Hause war er meist unsichtbar. Mit ihm führte ich ein Reflexions-Tagebuch mit Hai-Stickern (seine Lieblingstiere), und wir machten nach dem Mittagessen gemeinsam Einträge. Wenn alle anderen nach Hause oder in den Hort gingen, kam Sven noch einmal zurück in den Klassenraum – das war sein persönlich gewählter Moment. Diese ungeteilte Aufmerksamkeit genoss er sichtlich, und er entwickelte großen Stolz auf „sein“ Heft.
Das Bedürfnis nach Normalität und Vertrauen
Nils überraschte mich am meisten: Er hatte, meiner Meinung nach, gar kein ADHS, sondern war einfach zu früh eingeschult worden. Er schaute sich um, kippelte, beobachtete die Vögel am Fenster – aber im Gegensatz zu einem Kind mit ADHS ruhte er regelrecht in sich. Seine Mutter machte sich wegen der Diagnose enormen Druck, und Nils litt unter seinem geringen Selbstwertgefühl. Er wollte nichts sehnlicher, als „normal“ zu sein wie seine Freunde Daniel und Mike.
Ich erkannte, dass wir jeglichen Druck herausnehmen mussten: Ich sprach mit der Mutter und bat sie, für ein halbes Jahr nichts mehr am Nachmittag nachzuarbeiten – stattdessen sollte Nils wieder in den Fußballverein gehen und sich mit seinen Freunden zum Spielen verabreden. Mit ihm reflektierte ich nicht nach der Stunde oder dem Unterricht, sondern kurz vor jeder Aufgabe. Er konnte sich nach wenigen Wochen sehr gut selbst einschätzen, und seine kleinen Erfolgserlebnisse motivierten ihn enorm. Ohne Druck entwickelte er wieder Freude am Lernen und sein Selbstwertgefühl wuchs. Am Ende der zweiten Klasse gehörte er sogar zu den leistungsstärksten Schülern.
Drei Kinder, drei völlig unterschiedliche Bedürfnisse – und drei verschiedene Reflexions-Ansätze. Diese Erfahrungen haben mir gezeigt: Die Diagnose allein hilft nicht weiter, wenn wir nicht genau hinschauen, was das einzelne Kind wirklich braucht. Manchmal muss man sogar den Mut haben, eine Diagnose zu hinterfragen.
Natürlich verschwinden nicht alle Schwierigkeiten durch das Reflektieren. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich die Schüler durch das Reflektieren mehr gesehen fühlen und sich häufig im Unterricht und Schulalltag viel besser zurechtfinden. Mitunter haben Kinder mit Förderbedarf ein geringes Selbstbewusstsein, weil sie immer wieder die Erfahrung machen, nicht „gut genug“ zu sein. Durch Reflexionen kann ich dann an den vielen kleinen Erfolgen ansetzen und sie bewusst in den Fokus rücken. Durch diesen konstanten Austausch bekommen die Kinder außerdem direktes Feedback zu ihrem Verhalten, was ihnen für die Zukunft hilft, sich besser zu regulieren.
Deine Werkzeuge für eine erfolgreiche Reflexion
Falls du nach diesem Newsletter Lust bekommen hast, Reflexionen systematischer in deinem Unterricht einzusetzen, habe ich diese Materialien für dich:
Unterrichtsmaterial | Reflexionen in der Grundschule
E-Book | Reflexionen in der Grundschule
50 Impulskarten für besondere Kinder
Sommeraktion: Sichere dir jetzt das Materialpaket Reflexionen mit allen drei Materialien zum Sonderpreis! Bis Ende August zahlst du statt 21,99 € nur 15 Euro. Dein Gutscheincode: LEHRERGL_CURMG2

Viel Spaß beim Reflektieren!
Deine Tatiana
P.S. Ich freue mich auch über dein Feedback oder Fragen zum Newsletter per E-Mail. Hast du bereits Unterrichtsmaterial von mir gekauft und im Unterricht eingesetzt? Dann freue ich mich über deine Bewertung auf Eduki!
Ähnliche Beiträge
* Affiliate-Disclaimer: Wir sind Mitglied im Partnerprogramm von Amazon. Wenn du etwas über unsere Produktlinks auf Amazon kaufst, erhalten wir eine kleine Provision, die deinen Kaufpreis nicht beeinflusst. Affiliatelinks sind wie folgt gekennzeichet: (Affiliate-Link*)